Gehirn & Spitzenleistung – Achtsamkeit

Um zu verstehen, wie wir am besten regelmäßig Bestleistung abrufen, müssen wir uns kurz mit uns selbst, sprich: mit unserem Gehirn als der Instanz, die unsere Emotionen, unser Verhalten, unsere Denkweisen treibt, befassen. Denn wir definieren:

Leistung = Potential minus Störungen

Der Fokus liegt dabei auf internen Störungen, was so viel bedeutet wie: Wir (unsere Gehirne) blockieren unser eigenes Potential. Wir orientieren uns also bei dem Begriff „Spitzenleistung“ nicht am Ergebnis, sondern an der Minimierung von Störungen beim Abruf von Potentialen. Sprich:

Spitzenleistung = Potential ohne Störungen!

(Klar: wenn das Potential störungsfrei fließt, führt das zu guten Ergebnissen!)

Bestleistung – mein Gehirn verstehen

Um diese Denkweise verstehen zu können, müssen wir insbesondere zwei Bereiche des Gehirns prinzipiell verstehen:
Da ist zum einen unser „präfrontaler Cortex“ (PFC), auch Stirnhirn genannt. Diese Region sitzt direkt hinter der Stirn, ist die jüngste Region des Hirns (sowohl evolutionär als auch beim Individuum, denn sie entwickelt sich bis ins Erwachsenenalter hinein), und sie ist zuständig für das, was manchmal als „Exekutivfunktionen“ bezeichnet wird, also beispielsweise das Planen, das Abschätzen von Auswirkungen auf Handlungen, das Treffen von Entscheidungen durch Abwägung von Szenarien, das Hineinversetzen in Andere, die Empathie, die Selbstreflektion und auch das Hemmen von emotionalen Impulsen.

Die andere Hirnstruktur, die uns interessiert ist die Amygdala, eine kleine mandelförmige Struktur, die in beiden Hirnhälften im limbischen („emotionalen“) Hirn sitzt. Sie ist insbesondere zuständig für die schnelle Interpretation von Gefahren, und generiert in uns daraufhin Impulse von Kampf, Flucht oder Totstellen. Sie ist es, die uns dazu veranlasst, erschreckt zu springen, wenn wir im Halbdunkel im Wald spazieren gehen und auf einmal etwas im Gebüsch vor uns raschelt. Der PFC wird anschließend aktiv, wenn wir merken, dass es nur ein Vogel war und wir dann hoffen, dass niemand gesehen hat, was für ein „Angsthase“ wir sind. Es ist aber sinnvoll, dass die Amygdala uns vorsichtshalber zu Angsthasen macht, denn der PFC funktioniert sehr viel langsamer als sie, und bis er analysiert hat, ob eine Gefahr besteht, hat die Schlange schon längst zugebissen.

Gehirnpower

Rationales Denken kostet viel Energie

Die Amygdala ist auf diese Weise dem PFC immer einen Schritt voraus! Sie ist als Gefahrenmelderin aber nicht nur schneller als der PFC, sondern sie hat auch Vorrang. Und nun die wirklich schlechte Nachricht: Ein klarer Geist (sprich PFC) ist zwar in der Lage, sich über die Impulse der Amygdala hinwegzusetzen, wenn er feststellt, dass die vermeintliche Gefahr kein Kampf- oder Fluchtverhalten benötigt. Dazu braucht er allerdings sehr viel Energie. Im Umfeld heutiger Anforderungen, Veränderungen und Komplexität ist der allergrößte Teil der Amygdala-„Aufregung“ aber nicht auf realen Gefahren basiert, sondern auf der Erwartung negativer Erfahrungen (wird meine Präsentation heute Nachmittag abgeschossen?). Und da wir im Allgemeinen aus Erfahrungen in der Vergangenheit (und aufgrund verbreitet starker Amygdala-Aktivierung) weitaus mehr Negatives in der Zukunft vermuten als tatsächlich eintritt, hat der PFC den ganzen Tag damit zu tun, die Amygdala „auszugleichen“.

Die Energie-Ressourcen des PFC sind aber nicht endlos und wir brauchen Schlaf, Ruhe und Entspannung, damit unser PFC immer wieder „funktionsfähig“ ist. In dem besagten Umfeld fehlt uns die entscheidende Ruhe aber oft, was der Amygdala immer wieder „Oberwasser zu geben“ tendiert. In diesem Umfeld werden nun die Grenzen kognitiver Selbstmanagement-Methoden deutlich: Der PFC bekommt sozusagen einen Hinweis, wie er die Selbstregulation in die Hand nehmen soll. Da der PFC aber nicht „im Vollbesitz seiner Kräfte“ steht, geschieht besonders eins:

Ich weiß nun (spätestens – oft wusste man es ja schon vorher!), wie es eigentlich ginge, nehme mir auch ganz fest vor, es so zu tun, erschöpfe dadurch umso mehr meine kognitiven Ressourcen, scheitere außerdem in der eigenen Wahrnehmung, und mache durch all das die Erfahrung eigener Inkompetenz. Dadurch erhalte ich aber nicht mehr Zugang zu meinem Potential, sondern habe nun einen neuen internen Störfaktor: Die Selbstwahrnehmung, dass „meine Selbstkontrolle zu schwach ist“.

Schlüsselkompetenz: Achtsamkeit

Aus diesem Teufelskreis kann uns erstaunlicherweise etwas heraushelfen, das wir bis vor kurzem im Zusammenhang von Leistung noch verspottet hätten: Achtsamkeit, von uns in unserem Buch aufgrund mehrdeutiger Assoziationen lieber mit dem englischen „Mindfulness“ bezeichnet! Achtsamkeit ist ein nicht kognitiver (nicht auf Denkleistung angewiesener) natürlicher Zustand, der im schon beschriebenen aktuellen Umfeld vorwiegend „untergegangen“ ist. Dieser Zustand zeichnet sich durch volle und ganze Präsenz im gegenwärtigen Moment aus, gekoppelt mit einer nicht urteilenden Aufmerksamkeit. Ganz anders, als unser typischer Aufmerksamkeitszustand, der sich durch ständiges Schauen in die Vergangenheit oder Zukunft auszeichnet. Dies bedeutet, dass wir in einem achtsamen Zustand im Gehirn umschalten! Denn das Netzwerk, das sich mit der Zukunft und Vergangenheit befasst, ist ein völlig anderes, als das Netzwerk, das sich mit der direkten Erfahrung dessen, was im Moment innen und außen geschieht befasst.

Mindfulness für Spitzenleistung im Gehirn?

Wie genau hilft uns das, Spitzenleistung zu bringen? Eine der Forschungen mit besonders dramatischem Ergebnis hat gezeigt, dass sich die Amygdala innerhalb von acht Wochen Achtsamkeitstraining bereits erkennbar verkleinert, dadurch nicht mehr so reizbar ist, und „ungefährliche“ Situationen daher nicht mehr so leicht als Bedrohung interpretiert werden. Dadurch werden die PFC Ressourcen geschont.

Führungskräfte brauchen den ganzen lieben langen Tag ihren PFC. Von der strategischen Planung über die Interpretation der Ergebnisse, die Mitarbeiter ihnen bringen, zur Team- und Mitarbeiterentwicklung bis hin zu den herausfordernden Sitzungen mit Stellvertretern anderer Bereiche, die alle ihre eigenen Interessen haben und diese gut vertreten wollen: der PFC ist ständig gefragt. Jede Störung, jede Einstellung auf einen neuen Gesprächspartner, jeder Aufwand, etwas geduldiger zuzuhören als man spontan geneigt wäre, verlangt dem PFC wertvolle Ressourcen ab. Da Mindfulness diese Ressourcen schont, verhilft sie uns vor allem zu erhöhter Flexibilität im Handeln. Sie nützt sozusagen den berühmten Franklschen Raum zwischen Reiz und Reaktion, um Automatismen zu unterbrechen, und reduziert dadurch die wichtigsten Störungen im Abruf von Leistungspotentialen. Außerdem fördert Mindfulness Schlaf, Entspannung und Fokus, und vieles mehr.

Mehr Spitzenleistung fürs Gehirn & Buchtipp

Dies ist der erste Teil des Gartartikels von Peter Creutzfeldt exklusiv für LernenDerZukunft.com
In Kürze folgt Teil 2 zum  Thema Mindful (Self)Leadership – Achtsame (Selbst)Führung

Zudem haben die beiden ein sehr empfehlenswertes Buch im Verlag der FAZ veröffentlicht:

Notebaert. K. & Creutzfeldt, P. (2015). Wie das Gehirn Spitzenleistung bringt: Mehr Erfolg durch Achtsamkeit – Methoden und Beispiele für den Berufsalltag. FAZ Buch.