Wir brauchen andere Trainings

Herausforderungen

Unsere Arbeitswelt wandelt sich und mit ihr auch die interne Weiterbildung. Die klassischen Konzepte funktionieren nicht mehr: In vielen Branchen nimmt der Workload der Mitarbeitenden zu, niemand kann und will sich noch mehrere Tage für die persönliche Weiterbildung nehmen. Stattdessen sind kleine Wissenseinheiten gefragt, die besser in unsere schnelllebige Zeit passen.

In Zeiten der Digitalisierung verändern sich nicht nur die Lernmöglichkeiten, sondern auch die Taktung. Das Wissen wandelt sich gefühlt minütlich. Für diese neue Geschwindigkeit sind herkömmliche Bildungskonzepte zu langsam. Wir bilden heute Menschen aus, ohne konkret zu wissen, wie ihr Arbeitsplatz in nur wenigen Jahren aussehen wird. Was wir brauchen, sind Trainings, die echte Impulse bringen und den Veränderungsprozess im Unternehmen unterstützen.

Die Zukunft liegt in Menschen, die außerhalb ihrer eigenen kleinen Welt und Komfortzone Lösungen finden. Als künftige Kernkompetenzen gelten die vier Ks: Kreativität, kritisches Denken, Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft. Am entscheidendsten wird die Fähigkeit werden, mit Veränderung umzugehen, neue Dinge zu lernen und in unvertrauten Situationen das seelische Gleichgewicht zu wahren. Die individuelle Persönlichkeitsentwicklung wird darum immer wichtiger. Die meisten klassischen Bildungskonzepte sind dafür jedoch ungeeignet.

Lösungsansätze

Wie können Trainings zukunftsfähig werden? Dazu einige Thesen.

Wir brauchen andere Settings und Methoden

Wir alle kennen das Standardsetting eines normalen Trainings: Bereits vor dem Seminarraum ist Musik zu hören, die die Teilnehmer in gute Laune versetzen und entspannen soll. Dann betreten wir den Raum und sehen den Stuhlkreis. Wer befürchtet hat, in einer Psychogruppe gelandet zu sein, beruhigt sich beim Anblick des Beamers: Es werden wohl weniger persönliche Statements und Gespräche verlangt und wir dürfen mit PowerPoint oder verwandten Medien rechnen. Was stattdessen folgt, ist die stundenlange Berieselung mit weitgehend bekannten Inhalten.

PowerPoint-Präsentationen sind zwar schnell erstellt, doch letztlich schüttet man damit Informationen einfach nur über den Menschen aus. PowerPoint überfordert uns – denn Lesen und Zuhören zugleich geht nicht, insbesondere dann, wenn das Gelesene sich vom Gesprochenen unterscheidet. Und bei zu vielen Folien ist der Arbeitsspeicher schnell voll, die Aufmerksamkeit lässt spätestens nach der zehnten Folie nach. Die Teilnehmer versinken in bleierne Müdigkeit.

Schluss damit! Die Ansprüche an Bildung und an ihre Form wachsen. Der Mensch in seiner Vielfalt steht im Vordergrund – also sollten er und sein Gehirn so gut wie möglich angeregt werden.

Dies lässt sich unter anderem mit folgenden Kriterien erreichen:

◆◆ Rhythmisierung und Abwechslung
◆◆ Multisensorik
◆◆ Förderung des Gruppenprozesses

Rhythmisierung und Abwechslung

Ständiges Switchen und Multitasking sind heute Standard, also muss auch eine gewisse Abwechslung in Trainings und andere Lernformate kommen. Experten sagen, dass wir beim E-Learning spätestens alle zwei Minuten eine Aktivität brauchen, einen Impuls, etwas zu tun. Zu lange oder zu kurze Aktiv- bzw. Passivphasen behindern das freudvolle Lernen.

Multisensorik

Trainings und Lernsequenzen multisensorisch auszurichten, ist die beste Prophylaxe gegen eintönige Trainings. Je mehr Sinne beteiligt sind, desto höher ist der Lernerfolg. Die Informationen werden dabei auditiv (hören), visuell (sehen), haptisch (tasten), olfaktorisch (riechen) und gustatorisch (schmecken) aufbereitet.

Förderung des Gruppenprozesses

Das Zusammensein mit anderen Menschen beschert ein Wir-Gefühl, das durch gemeinsames Erleben und Bewältigen unterschiedlichster Aufgaben gefördert wird. In Zukunft brauchen wir noch mehr die Kompetenz, uns in Gruppen zu bewegen – auch international und innerhalb verschiedener Zeitzonen. Isoliertes Lernen ist demnach wenig sinnvoll. Die Kraft der Gruppe ist ein wertvoller Turbofaktor für Lernprozesse.

Wir brauchen mehr Mut in den Unternehmen

Das wertvollste und wichtigste Gut des Unternehmens sind seine Mitarbeitenden und Führungskräfte. Sie gilt es mit Wissen, neuen Ideen und Impulsen voranzubringen. Bildung ist also nicht Angelegenheit der Personalabteilung, sondern Chefsache! Die Verantwortlichen für die Entwicklung des Unternehmens sollten auch die Verantwortung für die Weiterbildung übernehmen.

Das setzt natürlich eine tiefe Kenntnis der Inhalte voraus. Dafür brauchen Unternehmen gestandene Persönlichkeiten, die das entsprechende Wissen, die gewünschten Impulse, Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringen. Nehmen wir das Beispiel Blended Learning – die Verknüpfung von digitalen Trainingselementen und hochwertigen Präsenztrainings. Wenn das gelingen soll, geht es um mehr als um das planlose Zusammenwerfen von analog und digital. Es braucht eine Synergie, eine richtige Mixtur mit dem Ziel, Menschen zu einer Verhaltensänderung, neuen Werten und einer neuen Einstellung zu ermutigen und zu befähigen. Diese intelligente Verzahnung muss Chefsache sein, sonst fehlt die nötige Weitsicht. Sonst verliert man schnell Wesentliches aus den Augen, weil die Verantwortlichen nur partiell denken und planen.


Wir brauchen Persönlichkeiten als Trainer

Früher ging es in Trainings vor allem um Wissensvermittlung, doch heute ist so gut wie jede Information auch online auffindbar. Stattdessen müssen Mitarbeiter und Führungskräfte heute lernen, sich immer wieder neu zu erfinden, Altbewährtes loszulassen und auf das Ungewisse zu vertrauen. Resilienz und Disruption lauten die entscheidenden Schlagworte. Dazu gehört eine tiefgreifende geistige Flexibilität. Meist geht sie einher mit großer emotionaler Belastbarkeit – sonst wird es kaum gelingen, die eigenen Glaubenssätze, Schlussfolgerungen und Werte aufzugeben und durch neue zu ersetzen. Genau das kann in hochwertigen Trainings und Face-to-Face-Coachings vermittelt werden.

Das bedeutet: Nicht nur die Menschen in den Unternehmen brauchen neue Fähigkeiten, neue Verhaltensmuster und neue Einstellungen. Auch die eingekauften Trainer und Speaker müssen sich weiterentwickeln. Wir brauchen Trainer, die geistig flexibel sind und die den Change leben, über den sie sprechen. Denn wir lernen durch Wahrnehmen und Beobachten, Bewerten und Imitieren.

Trainerpersönlichkeiten benötigen Reife und Tiefe, sie müssen sich selbst bereits transformiert haben, um sich für diese Aufgabe zu qualifizieren. So wie ein Bergführer, der den Berg, auf den er Menschen führt, gut kennen und ihn bei verschiedensten Witterungen, Tages- und Nachtverhältnissen erlebt haben sollte. Auch die Entscheider in den Unternehmen brauchen Ratgeber, die sich in ihren Disziplinen meisterhaft auskennen und wissen, wie das Neue in Form von Bildung ausgerollt werden kann – so, dass es einen Mehrwert hat. Sie sollten uns einen Lern- und Entwicklungsraum ermöglichen, in dem wir neu denken können.

Dabei braucht es immer wieder ganz besondere Momente, die berühren, Augen und Herzen öffnen und bewegen – ich spreche hier gerne von Befruchtungsmomenten. Wenn es Trainerinnen gelingt, solche besonderen Momente zu schaffen, ist das mehr als die halbe Miete. Die Menschen werden in diesem Augenblick tief erschüttert, es findet ein »emotionaler Aufruhr« statt. Manches Mal entsteht eine Art dreidimensionales Bild, das zum Reflektieren und Innehalten einlädt.

Trainer sollten daher Persönlichkeiten sein, die in den Präsenztrainings faszinieren und die einen gewissen Aufruhr ins Leben, ins Thema und in die Arbeitswelt der Lernenden bringen. Sie werden zu Lernbegleitern, Impulsgebern, Bildungsmanagerinnen, Inhaltsaufbereitern, Lernzieldefinierern und Inhaltsdosierern, die uns mit digitalen Tools weiterbringen.

Eine echte Trainerpersönlichkeit bringt das Thema – und nur das – zum Leuchten. Sie verfügt über die innere Größe, sich selbst zurückzunehmen, um das Thema zu inszenieren und ihm einen entsprechend großen Raum und Rahmen zu geben.

Wir brauchen persönliche Transformation

Viele von uns spüren, dass sie inmitten einer persönlichen Disruption stehen. Viele unserer Verhaltensweisen, unser Werteverständnis und unser Mindset reichen angesichts der VUCA-Welt und der zunehmenden Digitalisierung einfach nicht mehr aus und müssen sich verändern. Es geht, kurz gesagt, um Transformation. Dafür müssen wir uns zunächst eines klarmachen: Es gibt unbewusste Prozesse, die auch für uns unbewusste Grenzen setzen. Das Überwinden dieser Grenzen ist der Weg zur Veränderung. Wir können lernen, bisherige Grenzen zu überwinden, neue Möglichkeiten zu erfahren, die uns zu etwas Neuem oder Reiferem bringen. Wir reifen in unseren Erkenntnissen über das Bisherige und bekommen eine weit größere Perspektive. Hochwertige Weiterbildungen bringen die notwendigen Impulse für solch einen Wandel und unterstützen diesen.

Darum brauchen wir neue Trainings! Denn Lernende, die ihre Neugier wiederentdecken, sind Gold wert. Sie bringen dem Unternehmen Wissen und Energie, eine Haltung, die Bisheriges und vor allem Festgefahrenes infrage stellt, sie stärken das Unternehmen und sind ein Garant für seine Weiterentwicklung.


Quelle: Barbara Messer: Wir brauchen andere Trainings! Wie wir Menschen in Unternehmen weiterbilden können. GABAL, 2019,